Nachhaltigkeit in der Reitsportbranche - Null Chance auf „Zero Waste“ ?
Die Flut an Plastikeimern, Sprühflaschen, Säcken und Dosen in Reitställen ist riesig: Fliegen- und Mähnensprays, Huf- und Futteröle, Mineralpräparate, Müslis, Heucobs und Riegel – sehr vieles kommt in Einwegverpackungen. Dabei ist die Vermeidung von Emissionen und Müll Herstellern, Händlern und Verbrauchern ein Anliegen. Nun ist der Reitsport vor allem in den Bereichen Futtermittel, Nahrungsergänzung und Pflegeprodukte in einem Dilemma: die Verpackungen müssen alle Transportwege gut überstehen, sinnvoll und ohne Schädlingsbefall zu lagern und funktional in der Nutzung sein, dazu der starken Beanspruchung im Stallalltag standhalten. Hier nachhaltiger zu werden, ist nicht leicht. Doch es gibt Ansätze, dem Müllberg Herr zu werden.
Die Abfüllstation von Reitsport Schuldt spart Ressourcen. Foto: Reitsport Schuldt
Es ist ja keineswegs so, dass Nachhaltigkeit nur ein Trend der letzten Jahre ist. Viele Firmen beschäftigen sich seit Jahrzehnten intensiv damit, möglichst nachhaltig zu produzieren und zu verpacken. Ganz vorne mit dabei ist Josera, erster komplett klimaneutraler Hersteller von Tierfutter jüngst von der amerikanischen PetSustainabilityCoalition zum nachhaltigsten Tierfutter-Produzenten 20/21 gekürt. Seit langem spart das Unternehmen mit dem eigenen Bahnanschluss tausende LKW-Fahrten im Jahr und kompensiert den CO2-Abdruck. Und auch am Sortiment wird stetig gearbeitet: „Mit den neuen Kraut und Rüben Heucobs bringen wir jetzt ein neues Produkt, das schon nahe an unserem Ideal ist,“ erzählt Marketingleiter Benjamin Mangelkramer. Die Rohstoffe für die neuen Cobs stammen aus nachhaltigem und regionalem Anbau, darüber hinaus wird das Pferdefutter komplett CO2-neutral produziert und getrocknet – dank Solarenergie am Standort und Kompensationsprojekten wie dem Walderhaltungsprojekt Ntakata Mountains in Tansania. Seit 2019 verzichten die Unterfranken zudem bei allen Müslis auf Plastikverpackungen und konnte so bereits über 30.000 kg CO2 einsparen.
Oftmals bringen aber die kleinen Schritte schon viel: Futterspezialist Marstall reizt mit der Umstellung von runden auf eckige Eimer bei seinen beliebten Stallriegeln schon die Kapazität der Europaletten viel besser aus als früher, und die Großgebinde in Säcken werden ebenfalls immer beliebter. Die gibt es zum Teil auch in unbedruckter Version mit einem kleinen Aufkleber. Kurze Wege sind Marstall ebenfalls ein Anliegen: Die Futtermittelmarke ist wohl der einzige Lieferant, der mit eigener LKW-Flotte in ganz Deutschland und Österreich Siloware direkt an Handel und Ställe ausliefert, was mit drei Produktionsstandorten natürlich besser klappt als mit nur einem.
Nachhaltige Verpackungen im Reitsport
Weniger Dosen, Flaschen und Eimer und diese aus ökologisch unbedenklichen Materialien: das ist das große Ziel. Naheliegende Ansätze sind also: größere Füllmengen, Nachfüllpackungen und Nachfüllstationen im Laden. „Tankstellen“ – also Nachfüllstationen für Festes wie Leckerlis und Flüssiges wie Mähnenstriegel oder Fliegenspray-Lotion – stoßen dabei auf sehr unterschiedliche Resonanz. Tankstellen mit flüssigen Futter- oder Pflegemitteln sind im Alltagsbetrieb im Handel insgesamt etwas aufwändiger: Ein- und Ausfüllstutzen müssen regelmäßig gereinigt werden, der Boden kann verschmutzen, oft kommen die Kunden ohne ihre Flaschen. Displays vom Hersteller für die Unterbringung von Großkanistern werden offensichtlich meist nicht angeboten: „Wir unterstützen jeden Händler, der sich eine Nachfüllstation selbst hinstellt, aber wir haben keine fertigen Lösungen im Sortiment, weil das extrem teuer und schwierig ist,“ erklärt Christian Klös von Leovet.
Stattdessen setzen die Spezialisten aus Wetzlar bei der Verpackung auf 100% recyceltes Plastik bei ihren Sprühflaschen und sind bei allen anderen Verpackungen in der Umstellung. Im gleichen Zug haben sie die Füllmengen erhöht, so dass deutlich weniger Kunststoff insgesamt verbraucht wird. Zedan setzt bei den Großgebinden auf eine „Bag in Box“-Lösung mit Zapfhahn, die rund die Hälfte an Kunststoff einspart.
Die Praxis zeigt aber: man braucht einen langen Atem, und die Kunden müssen mit den Angeboten vertraut sein. Ein Positivbeispiel ist Reitsport Schuldt in Schenefeld, dessen in punkto Nachhaltigkeit bestens erzogene Kundschaft gerne mit den eigenen Behältnissen zum Nachfüllen kommt. Wer keinen eigenen Eimer mitbringt, bekommt bei Andreas Schuldt eine Tüte aus Ökoplastik.
Neue Ideen zum Transportschutz: Rücknahme & Recycling
Der andere Themenkomplex ist die Logistik: „Endverbraucher sind nicht immer rational, was ihre Wünsche angeht. Alle wollen es umweltfreundlich, beschweren sich über Kunststoffpolsterungen in der Versandbox, akzeptieren aber eine Flut von Werbezetteln und Katalogen auf Hochglanzkarton, oder über ein Tütchen Gummibärchen als Dankeschön. Was viele nicht überblicken, ist das Plus an Treibstoffverbrauch durch schwerere Papierpolsterungen. Mit einer Palette Plastikfolie ersetze ich zwölf Paletten Papier,“ rechnet Julian Becker vom Onlineshop EquiAmor vor. Ganz anders sieht das Andreas Schuldt: Die Schenefelder verwenden beim Versand von Online-Bestellungen Holzwolle zum Abpolstern und verwenden ausschließlich recycelte Kartons „Wir bekommen täglich so viel Ware in Kartons geliefert – es wäre ja verrückt, die nicht mehrfach zu verwenden. Wir kennzeichnen unser Recyclingprogramm für den Kunden, und das wird sehr begrüßt,“ sagt Schuldt. Er wünscht sich dazu ein Rücknahmesystem von Transportboxen durch die Hersteller, ähnlich dem Kreislauf von Kunststoffkisten bei Apotheken. „Die Lieferanten tun da für meinen Geschmack noch nicht genug. Für mich ist die Nachhaltigkeit durchaus ein Entscheidungskriterium bei der Order, und meine Kunden danken mir diese konsequente Einstellung durch viel Treue“.
Aber was ist denn wirklich „nachhaltig“? Die Öko-Bilanz von sortenreinem Plastik kann besser sein als die von beschichtetem Papier, und das Gewicht von Polsterungen beim Versand ist bei Holzwolle oder Pappe höher als bei Blasenfolie und verbraucht so mehr Treibstoff. Es gibt viele kleine Maßnahmen, die der Kunde im Laden nicht unbedingt wahrnimmt, die aber trotzdem etwas bewirken.
Eines macht die Stimmungsaufnahme in der Branche jedenfalls deutlich: das Thema ist extrem komplex, und einfache, wirklich nachhaltige Lösungen sind nicht nur schwer zu finden, sondern schwer zu kommunizieren und zu vermarkten. Die Mitarbeit und Einsicht der Verbraucher sind ebenso wichtig wie ein nachhaltigeres Angebot durch die Lieferanten. „Man muss an vielen Stellen ansetzen, um überall etwas zu erreichen,“ fasst Sabine Krisam von Marstall zusammen.