Islandpferde: Fünf Gänge und jede Menge Möglichkeiten
Bild: Reiterin Jóhanna Margrét Snorradóttir vom Team Hrímnir. Sie ist ausgebildete Reitlehrerin der Universität Hólar, Mitglied im Isländischen Bundeskader und amtierende Isländische Meisterin im Viergang.
Jules Verne sagte: „Es gibt kein scharfsinnigeres Tier als das Islandpferd. Es wird weder von Schnee, noch von Sturm, noch von unwegsamen Straßen, noch von Felsen, Gletschern oder irgendetwas anderem aufgehalten. Es ist mutig, nüchtern und trittsicher.“
Auch wenn die Zucht der Rasse in den letzten Jahrzehnten auf großrahmigere, sportliche und weniger plumpe Pferde hinzielt, hat das Islandpferd seine Besonderheiten nicht verloren. Die zähen Kleinpferde sind arbeitswillig und bestechen meist mit mindestens vier, oft auch fünf Gangarten: Neben Schritt, Trab und Galopp bieten sie den weichen Tölt und den rasanten Pass. Spezielle Turnierformen und Ausrüstung machen die Islandpferdeszene zu einer eingeschworenen Gemeinde innerhalb der großen Reitsport-Community, die aufgrund der Reitweise – meistens draußen, 365 Tage im Jahr – spezielle Anforderungen an die Funktionalität von Produkten hat. Etliche Hersteller und Händler haben sich ganz dem Islandpferdesport verschrieben. In den letzten Jahren läuft das Geschäft sehr gut und hat mit der Corona-Krise einen weiteren Schub erfahren. Wie groß ist die „Nische Islandpferd“ und welche Chancen bietet sie? Der Spoga Horse Blog hat nachgefragt.
Islandpferde liegen im Trend
Im Jahr 2020 zählte der globale Dachverband FEIF rund 93.000 Islandpferde direkt auf Island – und nur knapp dahinter folgt Deutschland mit etwa 63.000 reinrassigen, registrierten Islandpferden. In Island selbst geht der Bestand seit 2016 leicht zurück, während er in allen anderen Ländern mindestens gleich bleibt oder (wie in Deutschland, Schweden, Dänemark und Österreich) signifikant wächst. Dabei wird nicht nur lokal erfolgreich gezüchtet, sondern auch direkt aus Island importiert. Attraktiv erscheint vielen der Direktimport aus Island – der allerdings für die Pferde ein One-Way-Trip ist, denn schon seit 1909 darf kein Pferd mehr auf die Atlantikinsel importiert werden, egal welcher Rasse es angehört. Aber auch der kleine europäische Grenzverkehr mit Pferden funktioniert: reger Handel findet vor allem zwischen Dänemark, Schweden, der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden und Österreich statt.
Die kräftigen und gutmütigen Islandpferde tragen problemlos Reiter bis etwa 80 kg. Mit einem Stockmaß, das sehr häufig über 140 cm liegt, sind die Gangpferde eher kurz im Rücken und haben einen kompakten Kopf (dem eine Ponytrense meist zu klein und eine COB-Größe oft zu groß ist) mit viel Behang und einem ausgeprägten Winterfell. Im Turniersport werden sie oft mit speziellen Islandpferdekandaren geritten, sie haben eigene Sättel, Sicherheitssteigbügel, spezielle Kurzgurte und besonders schmale Zügel.
Bild: Karlsund
So wie das Pferd, ist auch der Turniersport besonders
Bei den Gangprüfungen in Tölt, Viergang, Fünfgang oder Passprüfungen wird das Pferd in seinen natürlichen Gangarten bestmöglich vorgestellt. Es zählen Taktklarheit, Tempovarianz, Ausdruck, Durchlässigkeit und Anlehnung bzw. Haltung in allen Gängen. Beim Speedpass natürlich auch die Geschwindigkeit: hier liegt der Rekord beim 100 m-Rennen unter sieben Sekunden! Die meisten Weltranglisten-Turniere werden in Deutschland und Dänemark veranstaltet – ein Grund dafür ist das Importverbot für Pferde nach Island, das internationale Turniere im Mutterland der Pferde unmöglich macht. Die nächste WM ist für August 2023 in den Niederlanden geplant.
So speziell das Pferd, so eigen sind die Gepflogenheiten und die Spezialprodukte für Pferd und Reiter. Bei der Bekleidung seien Islandpferdereiter modisch eher konservativ (und farblich zurückhaltend), so hört man von Herstellern, auch wenn es in den letzten Saisons eine zunehmende Aufgeschlossenheit gegenüber Farbe und modischen Details gibt. Wichtigste Kriterien bei der Kaufentscheidung scheinen nach wie vor Passform für Pferd und Reiter, Robustheit und Wetterschutz zu sein, denn in kaum einer Variante des Reitsports wird so viel draußen geritten wie bei den Islandpferdereitern. An den Ställen sieht man deutlich mehr Jodhpurhosen mit Stiefeletten als klassische Stiefelreithosen. Die Lieferanten stammen meist selbst aus der Szene und sind Stallbesitzer und Reiter – sie sind nicht nur gut vernetzt, sondern lassen eigene Erfahrung in die Produktentwicklung einfließen. Eigene, regelrechte Kultmarken und -produkte haben sich die Szene erobert, allen voran Topreiter mit seinen Jodhpur-Reithosen Zipp und Pocket. Die Marken Karlslund aus Dänemark, Hrimnir (Island), Mountain Horse aus Schweden und die deutsche Firma HGG sind vor allem bekannt für ihre Reitoveralls (auch das eine Spezialität, denn Islandpferdereiter tragen im Winter sehr häufig dicke, wattierte Overalls mit Besatz).
Die klassische Feldmann Balance-Gerte gehören ebenso zur Grundausstattung vieler Reiter wie Islandpferdesättel (wie von Hilbar, Hrimnir, PS, Topreiter oder Championrider). Beliebte Gebisse und Trensen kommen von zum Beispiel Hrimnir, Eques, Fager oder Topreiter. Mountain Horse aus Schweden punktet in der Szene mit robusten Stiefeln, aber auch gänzlich branchenfremde Hersteller wie die australische Arbeitsschuhmarken Redback, deren Stiefeletten ein nicht geringer Teil der IslandpferdereiterInnen trägt, haben sich in der Nischenbranche etabliert. Die großen Händler Krämer und Loesdau schöpfen vor allem die Einstiegspreislagen des Marktes mit ihren Marken Fengur und Black Forest ab und betreiben spezielle Isländer-Flächen in den Läden und Online, in denen sie aber keine typischen Lieferanten aus der Szene listen.
Bild: Karlsund
Die Besonderheiten der Islandpferde machen den Markt speziell
Den Handel haben die Spezialisten im Griff, die die Reiter online und damit flächendeckend mit Spezialprodukten versorgen, wie Svarta Reitsport, Elita Hestar, Ice-line.de, Icelandic-horse.com oder Atorka.
In vielen Ländern gibt es diese Nischen-Händler: Karlslund-Gründer Dennis Trysøe beliefert etwa 100 Kunden in Europa, von denen die allermeisten Island-Spezialisten sind. „Es gibt eine spürbare Hemmschwelle bei Reitsporthändlern, in den Islandmarkt einzusteigen – bezüglich der Produktanforderungen, der Vorlieben und der Sitten in der Szene. Viele denken, sie haben nicht das ausreichende KnowHow, um die Produkte zu verkaufen,“ sagt der Däne, der selbst einen Zuchtstall betreibt und erfolgreicher Sportreiter ist (wie viele Markeninhaber in der Szene). Und ergänzt: „Wir sehen ein wachsendes Interesse von klassischen Reitsportläden, den Markt zu entdecken.“ Um diese zu begleiten, gehört für ihn eine intensive Schulung und Betreuung der Kunden durch sein Team dazu. Wichtig sei dabei, dass der Lieferant das Thema Islandpferd „lebt und atmet“, denn so besonders wie das kleine Pferd von der Insel sind auch die Endkunden. Das bestätigt auch Tina Franke, die ihr Spezialgeschäft „Nordgrad“ online und stationär (im Islandpferdezentrum Wiesenhof in Marxzell) betreibt und auf Islandpferde spezialisierte Sattlerin ist. „Viele Marken sehen das Umsatzpotential, aber auch manche Versuche, im Markt Fuß zu fassen, werden wieder eingestellt. Wenn man in der Szene nicht verwurzelt ist, ist es schwierig,“ sagt sie.
Der Schlüssel zum Erfolg sie es sei, authentisch zu sein – wie in jedem Sport.