Ernährung & Gesundheit - Aus Ackergäulen Rennpferde machen?
Für unsere Pferde wollen wir alle nur das Beste, entsprechend boomt das Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln und therapeutischen Angeboten. Von den geschätzten 4,1 Mrd. Euro Umsatz im Reitsport-Einzelhandel und mit Dienstleistungen rund ums Pferd entfallen Hunderte Millionen auf Nahrungsergänzungsmittel, Wellness- und Reha-Produkte und medizinische Behandlungen wie Physiotherapie oder Osteopathie.
Heilsversprechen gibt es darunter viele – Wunderpräparate in der Nahrungsergänzung ebenso wie therapeutische Angebote. Die meisten werden aus Ackergäulen keine Rennpferde machen können. Trotzdem ist es oft sinnvoll, nach den Routinechecks wie Blutanalyse und Untersuchung durch den Tierarzt das Futter entsprechend anzupassen und das Pferd gegebenenfalls regelmäßig durch Physiotherapie oder Osteopathie behandeln zu lassen. Bei all diesen Angeboten gilt es zu filtern: Was ist effektiv und wirksam, was nicht?
Physiotherapie, Massage und Co: von zart bis hart
„Emotionalität spielt für die meisten eine größere Rolle als Leistung und Wettkampf“, stellt die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN in ihrer im November veröffentlichten Studie zum Reitsport fest.
Das Pferd als „persönlicher Lebensbegleiter“ hat einen anderen Stellenwert als noch vor ein paar Jahrzehnten. Deshalb konsultiert man bei Problemen gerne einen Profi. Oft hat jemand am Stall einen Tipp, aber wenn nicht: Spezialisierte Pferde-Physiotherapeuten und Osteopathen gibt es in ganz Deutschland, viele davon sind auf Instagram, Youtube und Facebook extrem umtriebig. Wer besonderen Wert auf eine tiermedizinische oder physiotherapeutische Ausbildung des Osteopathen legt, sollte fragen, wo er seine Ausbildung absolviert hat. Drei Ausbildungsstätten in Deutschland sind von der FN anerkannt und nehmen nur Schüler mit oben genannter Vorbildung an.
Die Berufsbezeichnung „Pferde-Osteopath“ ist nicht geschützt, und so bieten sehr viele Therapeuten ihre Dienstleistungen an, die als Quereinsteiger zum Thema gekommen sind – was nicht heißen muss, dass sie ihren Job schlechter machen.
Jonas Bettaque vom ZePo (Fachzentrum für Pferde-Osteopathie) beobachtet eine Zunahme der Nachfrage: „Der Bereich wächst rasant. Wir bilden jährlich fast 50 Osteopathen aus. Früher musste man noch erklären, was das ist, aber unter anderem dank Tamme Hanken weiß heute jeder Pferdebesitzer, wo die Möglichkeiten der Behandlung am Pferd sind.“
Egal, ob man offiziellen Therapeutenlisten traut oder lieber der persönlichen Empfehlung im „Stallfunk“, ein Kriterium gibt es: Ein guter Therapeut schaut sich immer das ganze Paket aus Pferd, Sattel und Reiter an, bevor er mit einer Behandlung beginnt. Denn Bewegungseinschränkungen oder Lahmheit können eine ganze Vielzahl von Ursachen haben, und der Sattel ist ein wichtiger Baustein im Puzzle.
Neben den Profis, die eine zertifizierte Ausbildung nachweisen können, trauen sich viele Pferdebesitzer auch die Do-it-Yourself-Methode zu – weniger als echte Therapie denn als eine Art „Wellnessprogramm für das Pferd“. Vor allem die entspannende Muskelmassage ist beliebt, fürchtet man hier doch nicht so sehr, dem Pferd zu schaden. Die Pferdemassage vor und nach dem Training machen Selbstanwender mit Hilfsmitteln: vom günstigen Striegel für wenige Euro bis zur Profi-Massagepistole für mehrere hundert Euro ist die Bandbreite groß.
Die Magnetfeldtherapie, zum Beispiel mit der beliebten „Bemer-Decke“, erfreut sich in den letzten Jahren ebenfalls großer Beliebtheit. Alena Knauer von Bemer erklärt: „Die Anwendung ist kinderleicht. Die dritte Generation unserer Sets aus Decke und zwei Gamaschen ist so ausgereift, dass wir sogar den German Design Award und den Red Dot Award bekommen haben. Aber klar ist: Das Bemer-Set ist wie ein therapeutisches Mittel zu sehen, die fachmännische Beratung und Betreuung sind unerlässlich.“ Derzeit vertreibt Bemer seine Horse-Sets nur über Partner – mit wachsendem Erfolg. Endverbraucher, aber auch Trainer und Stallbesitzer sind die Kunden. Manche Pensionsstallbetreiber schaffen sich gar die Magnetfeld-Decke als Vermietobjekt an, das wie ein Laufband oder andere Services als Zusatzleistung durch die Einsteller gebucht werden kann.
Pellets und Pülverchen: Fit von innen
Auch durch das Zufüttern diverser Mineralstoffe, Proteine und Vitamine erhofft man sich ein gesünderes, leistungsbereiteres Pferd. Denn der Traum vom fitten Sportkracher oder vom fröhlichen, gesunden Rentnerpferd erfüllt sich nicht für alle. Experten sagen: Heu alleine (und sei es von noch so guter Qualität) liefert dem Pferd nicht alles, was es braucht. So mischen Pferdebesitzer Kräuterpellets, Grünlippmuscheln und Magnesiumpulver ins Müsli, geben Flüssigzusätze wie Leinöl oder Vitamincocktails bei und geben stoffwechselfördernde Bakterienkulturen ins Maul. Der Markt ist gigantisch.
„Immer mehr Freizeitreiter greifen in den letzten Jahren zu Nahrungsergänzungsmitteln,“ beobachtet Timm Hartlaub von Reitsport Wüst. Bei dem Fachhändler im kaufkräftigen Rhein-Main-Gebiet ist das Sortiment so erfolgreich, dass für dieses Jahr sogar eine Seminarveranstaltung von Hersteller Naf im Haus geplant war, die Corona-bedingt abgesagt werden musste. Auch St. Hippolyt, Spezialist für Futter und Nahrungsergänzungsmittel, tourt mit solchen Veranstaltungen durch den Handel. „Früher waren der Hufschmied oder der Tierarzt kompetente Ansprechpartner in Gesundheitsfragen. Heute spielen Heilpraktiker, Hufpfleger und die Info durch das Internet eine neue und immer größere Rolle. Wir unterstützen unsere niedergelassenen Handelspartner dabei, ihre Kompetenz unter anderem mit diesen In-House- oder Online-Seminaren zu unterstreichen,“ erklärt Vertriebsleiterin Scarlet Möller. Das Personal in Reitsportläden kann viele Fragen bestens beantworten, weiß sie: „So wie wir bei der Zusammenstellung unserer Produkte auf wissenschaftliche Forschung bauen, ist es sinnvoll, wenn Verbraucher dem Fachwissen der Händler vertrauen.“
Beim Großostheimer Fachhändler Wüst fragen die Kunden vor allem nach Präparaten zum Muskelaufbau, aber auch nach ausgefeilten Müslis. „Das Internet bietet unendlich viel Information zu dem Thema, und die Kunden sind sehr aufgeschlossen für die Zusatzfütterung,“ stellt Hartlaub fest. „Die Wertschätzung und die selbst angeeignete Kompetenz nimmt bei den Reitern zu,“ weiß auch Benjamin Mangelkramer von Josera. Komplettfutter-Müslis mit Mineralzusätzen, Lebendhefen, Enzymen, Kräutern oder Leinsamen kommen gut an – also eine Art All-in-One-Paket im Futtertrog (wobei das eine oder andere Muskelaufbau-Präparat trotzdem meist nicht fehlt). Dabei achten die Kunden vor allem bei pflanzlichen Produkten sehr auf nachhaltige, am liebsten lokale gentechnikfreie Produktion und eine kontrollierte Qualität frei von Schadstoffen. Auch eine nachhaltige Verpackung fließt in die Kaufentscheidung mit ein.
Pferde als Sportpartner, Freunde und Familienmitglieder sollen lange gesund und munter bleiben (oder werden). Das ist erfreulich wichtig für nahezu alle Pferdebesitzer – und stellt einen wachsenden Markt für Dienstleistungen und Produkte dar, die jährlich auf der spoga horse ihr Fachpublikum finden.