Ein wilder Ritt - Die Reitsportbranche in Zeiten von Corona
Kaum ein Stein ist in den letzten 18 Monaten aufeinander geblieben. Der Turniersport und die Reitschulen haben unter Lockdowns und Beschränkungen zum Teil heftig gelitten. Doch alles, was die Freizeitreiterei und den Privatbesitz von Pferden anging, lief nicht nur weiter, sondern ging nach einem anfänglichen Schock im Coronajahr 2020 auf einen erfreulichen Wachstumskurs. Der spoga horse Blog hat mit Händlern und Lieferanten gesprochen und vermeldet: Die Reitsportbranche ist nach einer ziemlich heftigen emotionalen und finanziellen Achterbahnfahrt gut davongekommen. Neben der laufenden Versorgung mit Futter, Hufpflege und Dienstleistungen zog der Handel mit Reitsportprodukten sogar kräftig an. Denn der Bedarf ist da, der Markt für Pferde sei „leergefegt“, hört man von Stallbesitzern, mit gezahlten Höchstpreisen selbst für Fohlen.
Trotz oder gerade wegen der schwierigen Stimmungslage waren in den letzten Monaten offensichtlich viele Reiterinnen und Reiter bereit zu größeren Investitionen – zumal in den Ställen das Leben relativ normal weitergehen durfte und diese Auszeit mit dem Pferd als besonders positiv erlebt wurde. So gab es einen klaren Trend zum Zweit- oder Drittpferd, und in der Folge auch viel Bedarf: „Der Sattelbereich ist geradezu explodiert“, berichtet Mathias Raschat, Geschäftsführer des Einkaufsverbunds Euroriding.
Viele bekannte Namen wie Reitsport Manski, Voss, Klawunde oder Kavalio gehören zu der Gruppe. Unter den Lieferanten in der Zentralregulierung des Verbands liegen alle über 10 Prozent im Plus. Allerdings werden jetzt die Lieferprobleme in einigen Produktionsländern spürbar. „In Indien liegen die Produktionskapazitäten im Moment bei rund 30 Prozent des Vor-Corona-Niveaus, das wirkt sich natürlich auf die Lieferfähigkeit aus“ berichtet Raschat. Die Frachtkosten – allen voran die Containerfracht – haben sich etwa verdoppelt. Entsprechend ziehen die Einkaufspreise an und einige Lieferanten haben unerwartet mitten in der Saison die Preislisten nach oben korrigiert. Trotzdem meint Raschat „es wäre noch mehr Umsatz möglich, wenn die Ware käme,“ und spricht von Sattelherstellern, deren Kunden derzeit mit 14 Monaten Lieferzeit rechnen müssten.
Das bestätigt auch Andreas Schuldt, Inhaber von Reitsport Schuldt in Schenefeld. Viele seiner Lieferanten, vor allem im Bereich Lederwaren, liefern um mehrere Wochen verspätet. Andere haben die Preise um bis zu 25 Prozent in der Saison angezogen, was sich auswirkt: So manche Fliegenmaske, die vorher bei 21,90 Euro lag, kostet jetzt 26,90 Euro – was allerdings von den Kunden durchaus akzeptiert wird. Insgesamt sind die Schenefelder sehr zufrieden. Selbst im Lockdown habe man beste Geschäfte gemacht: „Hansepferd, Nordpferd, Chio Aachen und viele andere Veranstaltungen, auf denen auch gekauft wurde, sind 2020 ausgefallen. Diesen Bedarf haben wir gedeckt, da wir dank der Futtersortimente immer geöffnet hatten. Viele Kunden waren einfach froh, mal wieder in einem Laden zu stöbern; so haben wir auch sehr gute Geschäfte mit Geschenkartikeln gemacht,“ erzählt Schuldt.
Allerdings ist die Lage nicht bei allen Händlern rosig. Auf der Gewinnerseite waren die, die Futter und Nahrungszusätze verkaufen, denn während der Lockdown-Phase durften sie in den meisten Ländern offen bleiben – anders als Kollegen aus dem Handel, die sich nur auf Ausrüstung beschränkten oder diejenigen, die in normalen Zeiten mit Pop-up-Stores auf Veranstaltungen ein Zusatzgeschäft machen. Zudem hatten etablierte Online-Händler oder Multichannel-Händler mit einem Online-Angebot einen Vorsprung, auch wenn sich einige stationäre Händler mit Marktplatz-Angeboten einen schnellen Zugang zum E-Commerce verschafft haben. „Die Corona-Phase hat die Entwicklung hin zum Online-Handel beschleunigt,“ meint Julian Becker von Equiamor, der sich über ein gutes Wachstum seines (ausschließlichen) Online-Shops freut.
Alles in allem scheint die Branche nicht nur mit einem blauen Auge, sondern wirklich gut davongekommen zu sein. Im Hinblick auf die Zukunft ist deshalb die Stimmung auch durchweg positiv – und es macht sich Vorfreude auf die nächste spoga horse breit. Denn Zoom-Meetings mit Lieferanten scheinen sich im Handel nicht besonders bewährt zu haben: „Online-Vorlagen sind einfach kein Ersatz, vor allem Bekleidung muss man mal anfassen können – und neue Marken findet man ohne Messen auch nicht,“ sagt Andreas Schuldt.